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Vor der Restaurierung muß jede Bibel erst einmal ins Krankenhaus

18.07.1999 01:00

Sie hat eine mehrere hundert Jahre alte Geschichte hinter sich, zahllose Generationen blätterten in ihr, lasen die Bücher des Alten und Neuen Testamentes, betrachteten sich die kunstvollen Illustrationen. Der Einband dieser Luther-Bibel aus dem 17. Jahrhundert ist mürbe, manche Seiten gerissen. Im vergangenen Jahr schlugen der heutige Besitzer, Helmut Seebach, der sich selbst als Buchliebhaber und -macher bezeichnet, ein neues Kapitel im „Leben“ dieser Bibel auf, brachte sie zur Restaurierung in die Südpfalz.

Der Zufall wollte es, daß just diese im Vergleich zu anderen aus dieser Zeit stammenden Exemplaren verhältnismäßig kleine und unscheinbare Heilige Schrift just die 300. historische Bibel ist, der die Nußdorfer Buchbindermeister Hedwig und Klaus Müller in ihrer Werkstatt zu neuer Würde verhelfen. „Sie wurde in Basel gedruckt und stammt aus dem Familienbesitz meiner Mutter“, weiß Seebach über das gute Stück zu berichten. Seine Vorfahren seien Mennoniten gewesen. Siedlungen im Eußerthal aus dem 18. Jahrhundert lassen auf eine Schweizer Herkunft deuten, was Seebach auch durch den Druckort der Bibel bestätigt sieht. Die Heilige Schrift, wohl einst eine Reisebibel, sei offenbar immer in Ehren gehalten worden und deswegen in relativ gutem, vor allem sauberen Zustand gewesen, so Seebach weiter. „Es war eine Ehrensache für mich, das Buch restaurieren zu lassen, da ich den Mennoniten zugeneigt bin.“ Als Glied in dieser Kette von Besitzern fühle er sich verpflichtet, die Bibel erneuern zu lassen, um sie würdig weiterzugeben. Außerdem plane er, in einem geerbten Häuschen in Queichhambach ein kleines Museum zu eröffnen, in der unter anderem diese Bibel ausgestellt werden soll.

Seit rund 20 Jahren ist das Handwerkerehepaar selbständig und hat in der Restaurierung alter Bibeln seine Nische gefunden: „Wir sind die einzigen in der Region, wohl auch in Rheinland-Pfalz, die sich hierauf spezialisiert haben“, meint die ursprünglich aus dem Münchner Raum stammende Hedwig Müller. Und so kommt es, daß sich ratsuchende Buchbesitzer (meist Privatleute, aber auch Bibliotheken) aus ganz Süddeutschland an Müllers wenden.

Es ist eine aufwendige Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Geduld erfordert, bis manchmal regelrecht von Holzwürmern und Schimmelpilzen zerfressene Bücher wieder in einem solchen Zustand sind, daß man sie getrost anfassen kann, ohne befürchten zu müssen, sie würden sich bei der kleinsten Berührung in Staub auflösen. Rund 70 bis 80 Arbeitsstunden, verteilt auf etwa einen Monat, stecken in der Restaurierung dieser frühen Erzeugnisse der Buchdruckerkunst.

Doch bevor es richtig losgeht, haben die Bücher eine ungewöhnliche Behandlung vor sich. „Jedes dieser alten Bücher muß zuerst ins Krankenhaus“, erzählt Klaus Müller, als sei es das Natürlichste auf der Welt, fügt dann aber schnell erklärend hinzu: „Zum Sterilisieren.“ Schließlich seien die Pilze und Bakterien, die sich zwischen den Seiten und im Deckel im Laufe der vergangenen Jahrhunderte angesiedelt haben, für seine Mitarbeiter und ihn gesundheitsschädlich. In Krankenhäusern biete die Technik hervorragende und gleichzeitig besonders schonende Möglichkeiten der Sterilisation. Nur kurz machen die alten Bibeln im Hospital Bekanntschaft mit hohen Temperaturen, dann kommen sie sofort wieder zurück in die Werkstatt. Hier geht es ihnen schließlich an den Kragen, pardon - an den Rücken: Die Heftfäden werden gelöst, die Seiten vorsichtig herausgenommen. Dabei muß sich der Buchbinder aber ungeheuer konzentrieren, denn - so die Erfahrung von Restauratoren - es kommt schon einmal vor, daß sich die Buchdrucker von anno dazumal mit der Numerierung der Seiten vertan haben. Nach diesem Schritt kommen die Seiten in die sogenannte Papierwaschmaschine, einen rechteckigen Kasten, in dem ein mit Sieben ausgekleideter Rahmen sanft im Wasser wiegt. Das geht aber nur bei gedruckten Büchern, für Handschriften ist das Waschen tabu. „Druckerschwärze verläuft im Gegensatz zur Tinte nicht im Wasser“, so Klaus Müller. Ganz vorsichtig müsse man bei den zahlreichen handschriftlichen Eintragungen sein, die in Bibeln häufig einer Familienchronik glichen. Sie würden auf jeden Fall soweit als möglich erhalten.

Die nassen Seiten werden dann zwischen Pappe und Vliesen getrocknet und wieder sortiert. Intakte Seiten werden mit Buchbinderleim nachgeleimt und so in ihrer Struktur gestärkt und gleichzeitig wieder haltbarer gemacht. Beschädigte und zerrissene Seiten erfordern besondere Aufmerksamkeit. In einem Schöpfbottich werden die alten Seiten auf ein Sieb gelegt, neuer Papierschlamm mit viel Wasser dazugegeben. Die neuen Fasern verbinden sich an den Rißstellen mit den alten Fasern, füllen Löcher auf, so daß eine neue Seite entsteht, in deren Herz die Originalschrift zu lesen ist. Und auch sie werden mit Buchbinderleim, der dank seinem hohen Kalkgehalt die mit den Jahren einsetzende Versauerung des Papiers hemmt, nachgeleimt. Nach diesen aufwendigen Schritten werden die Seiten wieder mit Faden geheftet.

Buchrücken wie Buchdeckel werden ebenso behutsam in ihre Einzelteile zerlegt. Da gibt es manchmal echte Überraschungen, denn auch schon unsere Vorväter kannten das Thema Recycling. Mancher Buchrücken besteht nicht, wie damals üblich, aus festem Holz, sondern aus unzähligen Lagen zusammengeklebten „Altpapiers“. Einmal förderte Müller in Kleinstarbeit Bögen mit Spielkartendrucken, ein anderes Mal seltene Kalender aus der Zeit der Kalenderumstellung zutage. Je nachdem, wie sehr die Buchdeckel zerfressen sind, werden sie durch neue ersetzt oder erhalten und mit Leder entweder komplett neu bezogen oder auch nur unterfüttert, so daß der originale Einband, oder das, was von ihm übrig ist, erhalten bleibt. Mit erhitzten Metallstempeln werden dann die Kalbs-, Ziegen- und Schweineleder nach historischen Vorbildern mit Ornamenten und graphischen Mustern geprägt, bevor von Klaus Müllers riesigem Fundus an eigens nachproduzierten Beschlägen und Schließen das Passende ausgesucht und aufgebracht wird. Ein wenig Fett gibt dem alten Buch schließlich neuen Glanz, und die Müllers können sich der nächsten, der 301. historischen Bibel ihrer Laufbahn widmen.

Auch die 300. historische Bibel, die Müllers wieder verschönert haben, kam in ziemlich abgenutztem Zustand in die Restaurierungs-Werkstatt, wo sie in etwa 70 bis 80 Stunden konzentrierter Handwerkerarbeit wieder nahezu ihr altes Gesicht erhalten hat.

zerschlissene Bibel
300. restaurierte Bibel

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